Die Daten scheinen ergiebig: beim 32. Deutsche Orientalistentag Ende September 2013 wurden 900 Vorträge referiert und mit 80 Panels neue Forschungsergebnisse über Afrika, Asien und die arabische Welt vorgestellt, und das bei einer Teilnahme von 1.300 Orientforscher aus aller Welt.
Erstes Fazit: Für die arabischen Ländern ist eine konsequente Trennung von Religion und Staat nach wissenschaftlicher Einschätzung allenfalls vorstellbar, aktuell aber nicht durchzusetzen.
Das weltliche, das säkulare Prinzip wird dabei nicht nur von islamistischen Kräften abgelehnt, wie auch die Berliner Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Gudrun Krämer beim DOT 2013 an der Uni Münster bekräftigt.
Welche Kräfte auch immer sich in Ländern des ‚Arabischen Frühlings‘ oder in Iran für die Säkularität und die gesellschaftliche Befriedung einsetzen, sie sind nicht mehrheitsfähig. Und so liegt auf der Hand, dass derjenige, der Religion und Politik trennen will, in die Ecke des Atheisten gestellt wird. Und „gottlos“ gelte eben als wertlos und ohne Anstand…
Für politische Akteure, die als säkulare Kräfte auch für ihre Haltung plädieren, gelte, dass eine Einheit von Religion und Staat im Islam nicht zwingend gelte, weil Koran und Sunna ein weltliches Prinzip zuließen, doch gelte im Mittleren Osten derzeit noch eine deutlich strengere Haltung.
Auch wenn sich in Politik, Recht, Wirtschaft, Kultur und Bildung ein reale Prozesse der Säkularisierung in arabischen Gesellschaften feststellen lasse, erstaune zugleich die Ablehnung des säkularen Prinzips.
Wer eine weltliche Haltung sowohl politisch wie auch religiös begründe, der erde so betrachtet, als ob er Säkularismus als Ideologie autoritärer Regierungen gewaltsam gegen die eigene Gesellschaft durchsetzen wolle. Eine solche Haltung wird unterstellt für die Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938), für Tunesien unter Habib Bourguiba (1903-2000) und den Irak unter Saddam Hussein (1937-2006). Wer heute als Säkularist gilt, wird auch als Agenten des Westens denunziert.
Denn wer Religion und Staat trenne, der wende „Kolonisierung und kulturelle Entfremdung“ an, was viele Muslime genau so fürchten, wie wenn der Islam an Bedeutung verlöre.
Persönliche Haltung deutlich machen
Für die Islamwissenschaft wird im Zusammenhang für Muslime in Saudi-Arabien, Ägypten oder den Golfstaaten dann aber auch deutlich, wie Säkularisierung in arabischen Gesellschaften bewertet wird.
Möge der Islam Regeln setzen durch eine erkennbare Lebensführung im öffentlichen Bereich, doch dürften islamistische Kreise nicht auch das Privatleben regulieren wollen, weil man damit auch fromme Muslime dies nicht wollten. Ablehnung also bei Alkohol, Homo-Erotik und Prostitution, aber nicht auch die Kontrolle durch strenge Sittenwächter.
Somit gelten die Grenze zwischen privat und öffentlich als in Bewegung, weil auch das Internet mit sozialen Netzwerken einem weltlicheren Muslimen den anonymen Schutz biete, der öffentlich nicht gegeben sei. Offen müsse bleiben, ob eine Trennung von privat und öffentlich in der arabischen Welt künftig auch für Frauen gelten könne…
Muslime könnten also in einer säkularen Ordnung leben, weil bereits Millionen von Muslimen dies tun, und zwar in Europa, Amerika, Australien und in der Russischen Föderation und auch in Indien, wo Muslime eine große Minderheit sind.
Bleibt die Frage: Können Muslime in der arabischen Welt in absehbarer Zeit das säkulare Prinzip als legitime und erstrebenswerte Organisation ihrer Gesellschaften sehen?
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