„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“, kann als bizarre Weisheit kaum mehr jemanden überraschen. Viel eher zeigt ein „ökonomisches Experiment“, dass nicht zwingend der Egoist sich durchsetzt, weil wer kooperiert, bessere Chancen in der weiteren Sozialisation hat.
Weil das Heer der Egoisten unendlich erscheint, glaubte man lange Zeit daran, dass Egoismus das Subjekt am ehesten voran bringe. Biologen behaupteten lange, das egoistische Gen setze sich in der Evolution durch. Und in den Wirtschaftswissenschaften regierte der Homo Oeconomicus: ein „vernunft-getriebener Agent, dessen Handeln stets nur auf das Eigeninteresse zielt.“
Doch im Alltag ist der Homo Oeconomicus nicht überall zu entdecken, denn Menschen engagieren sich sozial, spenden für wohltätige Zwecke, sie stimmen für politische Parteien, deren wirtschaftliches Programm nicht in ihrem finanziellen Interesse liegt. Manche riskieren für ihre Ideale gar ihr Leben. Heißt das etwa, dass sich das egoistische Gen im Laufe der Evolution gar nicht durchsetzt?
Eine Studie der ETH Zürich simuliert an einem sich wiederholenden Gefangenendilemma, einem beliebten Strategiespiel aus der Verhaltensökonomie, dass die Entscheidung eines Einzelnen zwar rational sein kann, nicht aber das Optimum für Alle bedeutet.
Das Spiel: Als Ausgangskonstellation besteht die Menschheit größtenteils aus Egoisten, denen zufällig ein paar Altruisten begegnen. Um sich fortpflanzen zu können, konkurrieren alle Menschen um Ressourcen. Kooperation liegt zwar in ihrem Gemeininteresse, aber jeder kann sich einen Vorteil verschaffen, indem er abtrünnig wird. Nur wenn die wenigen Altruisten trotz dieser schwierigen Ausgangslage besonders üppige Ressourcen ergattern, können sie viele Kinder bekommen und ihre Großzügigkeit genetisch weitergeben.
Wer aber setzt sich in zehn, 50 oder 100 Generationen durch? Kann der Homo Oeconomicus durch natürliche Selektion zwangsläufig wieder dominieren…?
Als überraschend gilt, dass schon nach wenigen Generationen die Altruisten die Welt bestimmen, weil einige zufällig zeitlich und räumlich aneinander nahe geboren werden und ihre Kooperation als clusters of cooperators evolutionäre Vorteile schafft.
Und auch die Nachkommen der Selbstlosen verhalten sich altruistisch. Doch obwohl regional vertretene Egoisten dominieren, setzen sich die Altruisten durch.
Im Ergebnis schafft die Evolution nicht nur den Homo Oeconomicus, sondern auch den Homo Socialis.
Ein solches Ergebnis kann optimistisch stimmen, wenn der genetisch bedingte Altruismus trotz evolutionären Drucks vererbt wird. Doch eine gesamte Gesellschaft aus Homo Socialis ist nicht so einfach. Dann dafür bräuchte man nicht nur die richtige genetische Anlage, sondern auch die richtigen institutionellen und kulturellen Umstände. Solche Zustände sind aber auch zerbrechlich.
Was als stabile, kooperative Gesellschaften gilt, kann in wenigen Jahren zum Chaos werden. Wer sich in der nachbarlichen Unterstützung sah, kann demnächst schon Feind sein…
In guten Zeiten selbstlos zu sein, lässt sich als Devise verbreiten; doch sind die Zeiten schlecht, verkommt der Homo Socialis zum Homo Oeconomicus: Wer im Fernsehen Leid sieht, der spendet gerne; beim Einkaufen wird man zum Schnäppchenjäger.
Vereinbaren lässt sich dies, wenn Selbstlosigkeit dem Gemeinwohl dient und zugleich das profitable Denken dem wirtschaftlichen Fortschritt.
So lässt sich der Homo Oeconomicus nicht grundsätzlich ablehnen, doch hängt die Zukunft davon ab, ob das Klimawandel sich lösen lässt und ob für eine kollektive Sicherheit die kulturellen und institutionellen Voraussetzungen zur Kooperation zu schaffen und zu erhalten.
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