Was es heißt, liberal Karriere zu machen
Silvana Koch-Mehrin, geboren am 17. November 1970 in Wuppertal, ist aktuell (2010) als deutsche Politikerin der FDP Europa-Abgeordnete und stellvertretende Parlamentspräsidentin in Brüssel.
Ihre Kindheit verbrachte sie zunächst in Marokko und im Sudan; sie absolvierte ihre Schulzeit bis zum Abitur 1990 am Rodenkirchen Gymnasium in Köln.
Ihr Studien zur Volkswirtschaftslehre und zur Geschichte machte sie in Hamburg, Straßburg und Heidelberg, wo sie 1998 promovierte über „Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik: die Lateinische Münzunion 1865 – 1927“.
Nach ihrer Promotion gründete sie Conseillé+Partners sprl, eine Unternehmensberatung für Strategieplanung und Europaberatung, mit der sie Anfang 2003 Partnerin bei der Unternehmensberatung Policy Action Ltd. wurde, die wiederum nach eigenen Web-Angaben auch Interessen zum Urheberrecht in Brüssel vertritt.
Nach ihrer Wahl ins Europaparlament hat Koch-Mehrin nach eigenen Angaben ihre Anteile an der Firma verkauft; als Kolumnisten der Zeitschrift Praline beantwortete sie ab 2004 wöchentlich erscheinenden Leserfragen zur EU.
Koch-Mehrin wohnt und lebt seit 1997 mit dem irischen Rechtsanwalt James Candon und drei Töchtern in Brüssel; ihr Abgeordnetenbüro wird in Karlsruhe geführt, wo sie Mitglied ist im FDP-Kreisverband. Als Mitglied wird sie auch im Förderverein der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft geführt.
Als stellvertretende Vorsitzende der Jungen Liberalen gehörte Koch-Mehrin schließlich ab 1999 auch dem Bundesvorstand der FDP an.
Mit Koch-Mehrin als Spitzenkandidatin kehrte die FDP bei der Europawahl 2004 nach zehnjähriger Abwesenheit in das EU-Parlament zurück. Im Wahlkampf hatte sie sich für ein Referendum über die EU-Verfassung, den Euro-Stabilitätspakt und dessen Konztrolle sowie den Abbau von Bürokratie eingesetzt.
Nach dem Einzug in das Europaparlament wurde Koch-Mehrin zur Vorsitzenden der FDP-Gruppe innerhalb der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa-Fraktion (ALDE) und in diesem Status auch erste stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Sie war unter anderem Mitglied im Haushaltsausschuss des Parlaments.
Erst im dritten Wahlgang…
Bei der Europawahl 2009 war Silvana Koch-Mehrin erneut Spitzenkandidatin der FDP, die mit 11 Prozent der Stimmen ihr bestes Ergebnis bei einer Europawahl erzielte. Nach der neuerlichen Konstituierung wählte das Parlament Koch-Mehrin zu einer der 14 Vizepräsidenten des EU-Parlamentes.
Sie gewann die Abstimmung mit 186 von 644 gültigen Stimmen im dritten Wahlgang und damit 12 Stimmen mehr als der rechts-konservative polnische Kandidaten Michał Kamiński. Im ersten und im zweiten Wahlgang hatte Koch-Mehrin mit 141 und 148 Stimmen noch jeweils die wenigsten Stimmen aller 15 Kandidaten erhalten.
In ihrer präsidialen Rolle soll Koch-Mehrin die Beziehungen zu den nationalen Parlamenten stärken. In den Arbeitsgruppe des Präsidiums ist sie Vorsitzende bei Gender Equality & Diversity, Mitglied bei der Informations- und Kommunikationspolitik und zuständig für die Bewertung Wissenschaftlicher und Technologischer Optionen (STOA – Science Technology Options Assessment).
Die Parlamentarier wählten Koch-Mehrin außerdem zum Mitglied des Petitionsausschusses und ihre Fraktion ernannte sie zur Stellvertreterin im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie.
Starker Tobak
Stark kritisiert wurde Koch-Mehrin als sie die Vergabe von EU-Geldern an Gewerkschaften und Nicht-Regierungs-Organisationen NGO’s, wie etwa WEED oder Attac, beanstandete. Die Betroffenen sahen darin ein „vordemokratisches und antiliberales Verständnis über die Verwendung öffentlicher Gelder“.
Nach dem Belgien in 2010 das Verbot der Burka umsetzte, erklärte Koch-Mehrin, dass sie diesen Beschluss begrüße und sie sich wünsche, dass in Deutschland und in ganz Europa die Burka verboten werde.
Diese Bekleidung sei ein massiver Angriff auf die Rechte der Frau, ein mobiles Gefängnis. „Die vollständige Verhüllung von Frauen ist ein aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen.“
In schriftlicher Darstellung führte sie aus, dass niemand in seiner persönlichen Freiheit und in seiner Religionsausübung eingeschränkt werden solle.
Weiterhin gelte für sie, dass verschleierte Frauen auf der Straße Befremden auslöse. „Ich gebe offen zu: Wenn mir auf der Straße voll verschleierte Menschen begegnen, bin ich irritiert. Ich kann nicht einschätzen, wer da mit welcher Absicht auf mich zukommt. Ich habe keine Angst, aber ich bin verunsichert.“
Alles, was sozial ist…
Als Reaktion hierauf erklärte Amnesty International AI, die Gesetzesinitiative würde Diskriminierung nicht verhindern, sondern diese bestärken.
David Nichols, von AI in Brüssel, stellte hierzu fest: „Sie beschränkt ernstlich die Meinungs- und die Religionsfreiheit“.
AI in London teilte mit, der belgische Vorstoß sei ein „gefährlicher Präzedenzfall“.
In einem Interview mit der Bild forderte Koch-Mehrin 2007, dass sie als Ministerin das Familienministerium abschaffen und die Bereiche Familie, Jugend, Senioren dem Sozialministerium zuschlagen würde.
Ihre Begründung: „Außerdem: ein Finanzminister kann mehr für Familien tun. […] Er kann dafür sorgen, dass Eltern Betreuung und Ausbildung von Kindern komplett von der Steuer absetzen können und er kann die Kinderfreibeträge massiv erhöhen.“
Nach der Bundestagswahl 2009 wurde Koch-Mehrin in den Medien als mögliche Familienministerin im nächsten Bundeskabinett gehandelt.
Kritisch betrachteten die Medien im Vorfeld der Europawahl 2009, dass Koch-Mehrin eine niedrige Anwesenheitsquote im EU-Parlament und bei Ausschusssitzungen verzeichne. Hier gegen erwirkte Koch-Mehrin mit Hilfe einer eidesstattlichen Erklärung über ihre Anwesenheitsquote eine einstweilige Verfügung gegen die FAZ, die allerdings zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgehoben wurde, womit wiederum die eidesstattlichen Erklärung fraglich wurde.
Im November 2008 erklärte Koch-Mehrin in einem Interview gegenüber der Bunten, „Wer im Parlament etwa Zwangsprostitution verurteilt, muss sich vor dem Ausgang auch entsprechend verhalten, sonst leidet die Glaubwürdigkeit und die Würde des ganzen Hauses.“
Eine Formulierung, die vielfach so verstanden wurde, dass Koch-Mehrin den männlichen Abgeordneten pauschal vorwerfe, sie seien Freier bei Prostituierten, die dazu gezwungen würden.
Ein Missverständnis, dass in erheblichem Maß das Verhältnis Koch-Mehrins zu anderen Parlamentariern belastete. Klare Ursache auch dafür, neben der Diskussion um ihre Anwesenheitszeiten, dass die Wahl zur Vizepräsidentin im Juli 2009 erst im dritten und letzten Wahlgang und mit dem zweitschlechteste Ergebnis klappte.
Hart, weil unwissend…
Einen Fauxpas der besonderen Art leistetet sich Silvana Koch-Mehrin am 5. Mai 2010 beim Polit-Talk ‚Hart aber fair‘. Zur Verschuldung Griechenlands und den Hilfsmaßnahmen antwortete sie auf die Frage, wieso sie trotz der deutschen Staatsverschuldung die Steuern senken wolle, dass Steuersenkung für Wirtschaftswachstum sorge, wodurch neue Arbeitsplätze entstünden und so die Sozialausgaben sinken könnten.
Als sie und die übrigen Studiogäste schätzen sollten, um wie viel die bundesdeutsche Staatsverschuldung während der 75-minütigen Sendung gestiegen sei, antwortete sie mit „6000 Euro“. Voll daneben, weil der richtige Wert bei etwa 20 Millionen Euro lag. Einige Zeitungen kommentierten dies als Ausdruck finanzpolitischer Inkompetenz Koch-Mehrins.
Die Schlagzeilen
Koch-Mehrins Rechenpanne – FDP-Politikerin blamiert sich bei Plasberg
Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin hat sich in der ARD-Sendung „Hart aber Fair“ am Mittwochabend bis auf die Knochen blamiert. Zum Abschluss der Sendung fragte Moderator Frank Plasberg seine Gäste, um wie viel Euro wohl die Staatsverschuldung Deutschlands während der Sendung gestiegen sei.
„Ich würde jetzt mal tippen 6000 Euro“, schätzte die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments optimistisch und setzte ein zufriedenes Gesicht auf. Tatsächlich waren es etwa 20 Millionen Euro. Die anderen Gäste waren schneller beim Kopfrechnen. Ihre Schätzungen lagen zwischen 15 und 21 Millionen Euro.
Koch-Mehrin selbst fand ihre Schätzung wohl recht schlüssig. Schließlich erlaubte sie sich vor ihrer Antwort noch eine kesse Bemerkung gegenüber Frank Plasberg. „Ich finde es ganz putzig, dass Sie der neue Pilawa der ARD werden“, sagte sie in Anspielung auf den Wechsel des Quiz-Moderators zum ZDF.
Plasberg konterte nach ihrer katastrophalen Rechenleistung cool: „Wenn ich der neue Pilawa der ARD werde, werden Sie besser nicht die neue Finanzministerin.“
Tja, woran hat’s gelegen. Rechenschwäche? Blankes Unwissen? Wer mal so eine Schuldenuhr gesehen hat, zum Beispiel im Haus der Geschichte in Bonn, der erinnert sich vielleicht, dass die Verschuldung jede Sekunde um etwa 4500 Euro steigt. Ein Fakt, der Koch-Mehrin bei der Rechnung womöglich weitergeholfen hätte.
Eigentlich sollte sich Koch-Mehrin mit dem Thema Staatsverschuldung etwas besser auskennen. Sie ist studierte Volkswirtin und hat ihren Doktor in Wirtschaftsgeschichte gemacht. Wer weiß, vielleicht handelt es sich auch nur um ein alternatives Konzept der FDP, um die Steuersenkungspläne schön zu rechnen.
Im eigenen Blog – Silvana direkt
[…] Ja, und das soll auch nicht verschwiegen werden: am Ende der Sendung hatte ich meine ‘Rechenaufgabe’ nicht gemacht und nicht ausgerechnet, wie viel neue Staatsschulden im Laufe der Sendung angefallen waren. Über den ‘6.000 Euro’-Versprecher habe ich mich selbst am meisten geärgert. Eine solche Konzentrationsschwäche sollte einem nicht passieren, kommt aber eben leider doch einmal kurz vor dem Ende eines langen Arbeitstages vor. Dafür bitte ich um Verständnis und Nachsicht. [Zitat Ende]
Veröffentlichungen
* Silvana Koch-Mehrin: Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik. Die Lateinische Münzunion 1865 – 1927. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2001, ISBN 3-7890-7631-7 (Überarbeitete Fassung ihrer Dissertation, Heidelberg 2000).
* Silvana Koch-Mehrin: Schwestern. Streitschrift für einen neuen Feminismus. Econ-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-430-30028-5.